Alte Musik auf der Universität
Wenn man die Instrumente nimmt nach dem Maßstab, wie sie die menschliche Stimme am besten nachahmen, und wenn man von allen Kunststücken das natürliche am meisten schätzt, so glaube ich, daß man der Viola da gamba den Preis nicht versagen kann, da sie die Stimme in allen ihren Modulationen nachahmt, sogar in ihren eigensten Nuancen der Trauer und der Freude."
So lobt 1636 der Musiktheoretiker Marin Mersenne die Viola da gamba. Während ihrer Blütezeit 1500 bis 1780. Also Renaissance und Barock gehörte die Viola da gamba zu den kultiviertesten Instrumenten der Kunstmusik. Heutzutage findet man die Viola da gamba an fast jeder Musikhochschule in Deutschland sowie in England und in den Vereinigten Staaten: ein klarer Beweis für das wachsende Interesse an alter Musik.
Ist dieses vermutlich auf der fortdauernden Nostalgiewelle unserer Zeit reitende Interesse künstlerisch eigentlich ernst zu nehmen? Bedauerlicherweise weist dieser Trend, der in fremdem Lande (vorwiegend GB, BRD, USA, Holland, der Schweiz) verhältnismäßig stärkere Wurzeln entwickelt hat als in Österreich, etliche Merkmale einer Modeerscheinung auf, mit vielen damit verbundenen negativen Attributen. Schon allein deshalb nehmen oft seriöse Musiker Abstand von den alten Instrumenten: wer aber wagt angesichts des in diesem Bereich häufig anzutreffenden rudimentären Könnens, dieser Ablehnung zu widersprechen?
Was spricht dann für die alten Instrumente? Aber, noch wichtiger für uns, was spricht für eine marginale oder gar gründliche Auseinandersetzung mit alten Instrumenten an einer traditionellen Hochschule für Musik? Ein Vergleich mit den bildenden Künsten dürfte zwei wichtige Argumente ans Licht bringen.
Erstens ist es hinlänglich bekannt, daß dem Begriff der auf der Darwinistischen Weltanschauung basierenden Evolution (= Fortschrittsdenken) wenigstens in der Kunst keine Gültigkeit zugemessen werden darf. Diese Erkenntnis räumt jedem einzelnen auch musikalischen Kunstwerk das Recht ein, den Anspruch auf eine von der Entstehungszeit unabhängige Beurteilung der ihm spezifischen inhaltlichen Werte zu erheben.
Zweitens hebt somit diese Erkenntnis jener früher sehr verbreitete Behauptung auf, die modernen Instrumente verkörperten den damaligen gegenüber ein höheres Stadium der Entwicklung. Also nicht unbedingt besser", sondern anders" klingen die heutige Endprodukte der technologischen Evolution! Bestimmt aber entsprechen die damaligen Instrumente dem Klangideal jener Epochen, den Klangvorstellungen jener Komponisten, deren musikalische Werke wir zu restaurieren" pflegen. Wiederum lehrt uns die bewährte Tradition in den bildenden Künsten: ein geschätztes altes Bild wird nicht mit modernen Plastikfarben übermalt. Warum dann ein altes Musikstück mit modernen Klangfarben übertünchen"? Leonardo da Vinci versah seinen Dienst weder als Maler noch als Wissenschaftler, sondern als Musiker am Mailänder Hof der Sforza. Wer dies weiß, dem mag es wohl schwerfallen zu glauben, Leonardo verließe das Atelier seines transzendentalen piktorischen Schaffens, um am Hofe primitive Musik auf primitiven Instrumenten primitiv zu spielen..
Prof. José Vázquez
Universität für Musik und darstellenden Kunst Wien